Wie alles begann

Wir waren gerade zu Besuch bei Freunden in Singapur als uns die Nachricht von dem neuen Virus erreichte, der in China zu unerklärlichen Lungenentzündungen geführt hätte. Und dann kam sehr schnell der Hinweis der Fluggesellschaft, dass alle Passagiere, die aus Singapur ausreisen und in Taiwan einreisen wollten, ab sofort nur mit einem Mund-Nasenschutz das Flugzeug betreten dürften.

So lernten wir, was es heißt ein rares Gut kaufen zu müssen. Drei Tage lang standen wir mehrmals in der Apotheke in der Warteschlange, um rechtzeitig beim Eintreffen der begehrten Ware eine Maske pro Person kaufen zu dürfen. Und natürlich auch die Desinfektionslösungen, die ebenfalls wie “warme Semmel” ruckzuck ausverkauft waren. Wer dann noch die asiatischen Nachrichten las, ahnte welche Bedeutung der Virus haben könnte.

Zu dieser Zeit dachte und hoffte man in Europa noch, das die Infektionskrankheit nur ein Problem des asiatischen Raums sei und wenn wir unserer Familie von den staatlichen Anordnungen in Taiwan und den besorgten Reaktionen aus dem taiwanischen Freundeskreis berichteten, dann stieß man lediglich auf überraschte Gesichter.

Lange Zeit galt Taiwan als eines der Musterländer, die es schafften, ohne Lockdown auszukommen und dessen Fallzahl trotz der geographischen Nähe zu China, erstaunlich niedrig blieb. Allerdings musste dafür auch ein hoher Preis gezahlt werden. Ab 19.03.2020 durften nur noch taiwanische Staatsangehörige und diejenigen, die im Besitz eines gültigen Aufenthaltstitels waren, einreisen

Doch auch Taiwan musste in der nachfolgenden Zeit drei Infektionswellen durchlaufen, die das gesellschaftliche Leben und Miteinander stark beeinträchtigt haben.

Krisenmanagement à la Taiwan

2020

So schwierig das Verhältnis zwischen China und Taiwan politisch auch sein mag, neben engen wirtschaftlichen Beziehungen gab und gibt es auch in der Wissenschaft einen Austausch und so prüfte Taiwan bereits seit Ende Dezember 2019 den Gesundheitszustand der ankommenden Passagiere aus Wuhan und machten sich Mitte Januar 2020 selbst ein Bild der Lage vor Ort.

Pop-up-Karte, entworfen vom Illustrator Tonn Hsu (許彤) mit eigener Beschriftung

Als am 21.01.2020 die erste Infektion in Taiwan auftrat, zog die Regierung die Konsequenzen und die zentrale Gesundheitsbehörde CDC wurde als Kommandozentrale für die Pandemielage ausgerufen. Ab sofort verkündete der Gesundheitsminister die Regeln, die auf einen nach den traumatischen Erfahrungen mit dem SARS-Ausbruch im Jahr 2003 ausgearbeiteter Krisenplan basierten.
Und seit diesem Tag läuft immer um 14 Uhr Ortszeit die Pressekonferenz, auf der die Zahl der Neuinfektionen und die neuen Maßnahmen verkündet werden.

Jede erkrankte Person wurde nach der Quelle der Infektion gefragt und die Kontaktnachverfolgung bis ins letzte Detail ausgewertet (hier geht Datenschutz anders).
Ab Februar wurden landesweit in einem rationierten System die medizinischen Masken an die Bevölkerung ausgegeben und kurze Zeit später hatte Taiwan die Produktion dieses Produktes auf über 10 Millionen pro Tag gesteigert. Das war zu einer Zeit, wo Europa maximal Stoffmasken im Gebrauch hatte.

Mund-und Nasenschutz in allen Farben- zertifiziert und Made in Taiwan
Mund-und Nasenschutz in allen Farben- zertifiziert und Made in Taiwan

Als Reaktion auf den Anstieg der Zahl der Neuinfektionen bei den Einreisenden führte Taiwan im März 2020 die Quarantäne ein. 14 Tage Isolation in der eigenen Wohnung – auch ohne Infektion, das war eine Erfahrung, die ich erstmals im September 2020 nach einem Besuch bei meiner Familie machen durfte. Nachdem ich schon schön in Desinfektionsmittel gebadete Koffer am Gepäckband in Empfang genommen hatte, bekam ich selbst noch meine Dusche mit hochprozentigem reinigenden Alkohol am Taxistand. Dann durfte ich in die eigens für die Beförderung der ankommenden Passagiere bereit gestellten Fahrzeuge einsteigen- war aber als potenziell hochgradige Gefahr durch eine Plastikfolie vom Fahrer getrennt. Zahlen durfte ich dann durch einen kleinen Schlitz in der Folie.

Während der 14 Tage musste ich einen PCR-Test durchführen lassen und wurde dazu von einem Taxi (ähnliche Prozedur) für die Fahrt ins Krankenhaus abgeholt. Und nun erlebte ich, wie die Überwachung der Quarantäne funktioniert.
Ich hatte bereits bei der Einreise nach Taiwan meine Handynummer angegeben und wurde ja schon jeden Tag von der für mich zuständigen Polizistin angerufen, die sich sehr rührend um meinen Gesundheitszustand kümmerte. Neben dieser freundlichen Nachfrage hatte man mich und meine Bewegungen aber auch sehr gut im Blick, da um unsere Wohnung quasi ein elektronischer Zaun gezogen wurde. Mein Verlassen der Wohnung löste schnell einen Alarm bei der Polizei aus. Und so befand ich mich einige Minuten später in der verzwickten Situation, gleichzeitig dem Klinikpersonal mein Anliegen und der Polizei am Handy das Verlassen der Wohnung mit einem Sprachenwirwarr aus Chinesisch und Englisch erklären zu müssen. Definitiv auch im Rückblick auf diese Zeit ein unvergessener Moment!

meine Handynummer angegeben und wurde ja schon jeden Tag von der für mich zuständigen Polizistin angerufen, die sich sehr rührend um meinen Gesundheitszustand kümmerte. Neben dieser freundlichen Nachfrage hatte man mich und meine Bewegungen aber auch sehr gut im Blick, da um unsere Wohnung quasi ein elektronischer Zaun gezogen wurde. Mein Verlassen der Wohnung löste schnell einen Alarm bei der Polizei aus. Und so befand ich mich einige Minuten später in der verzwickten Situation, gleichzeitig dem Klinikpersonal mein Anliegen und der Polizei am Handy das Verlassen der Wohnung mit einem Sprachenwirwarr aus Chinesisch und Englisch erklären zu müssen. Definitiv auch im Rückblick auf diese Zeit ein unvergessener Moment!

2021Impfstoff bitte “Made in Germany”
Das strikte Epidemiemanagement basierte auch auf der Zurückhaltung der Bevölkerung gegenüber den ersten Impfstoffen, die auf den Markt kamen. Astra Zeneca war der erste Impfstoff, der in größeren Dosen nach Taiwan gebracht wurde. Doch die Skepsis der Bevölkerung wuchs mit den Medieninformationen über eventuelle Nebenwirkungen und da gleichzeitig die Zahl der Neuinfektionen niedrig blieb, sahen viele Taiwaner wohl auch keine Notwendigkeit.

Und so brauchte es erst ein Ereignis, dass die Einstellung der Menschen änderte. Im Mai 2021 gab es eine Clusterinfektion rund um den internationalen Flughafen in Taoyuan, in dessen Folge die staatliche Seuchenbehörde vorübergehend Schulen und Kindertagesbetreuungen schloss und mehrere zig Tausend Personen in Hausquarantäne schickte, um die Infektionsketten zu unterbrechen.

Mit einem Mal war die Impfung wieder in den Fokus geraten. “Bist du schon geimpft?” wurde ich dann im Sommer immer häufige gefragt und ich konnte das bestätigen, nahm aber auch gleich allen den Wind aus den Segeln, weil ich zu diesem Zeitpunkt zweimal AstraZeneca erhalten hatte und nicht wie alle vermuteten, den so begehrten Impfstoff, der in Deutschland entwickelt wurde. Um den bemühte sich Taiwan sehr lange, geriet aber in den Konflikt, dass der chinesische Pharmalieferant Fosun einen direkten Vertrag mit BioNTech geschlossen hatte, wonach der Vertrieb des Impfstoffes für den Bereich “Greater China” (und dazu zählte dann laut Vertragsregelung auch Taiwan) nur über das Unternehmen erfolgen darf. Die taiwanische Regierung aber lehnte eine Lieferung ab, solange der Impfstoff aus China käme. So konnte lange keine Lösung gefunden werden, bis eine Gemeinschaft der beiden taiwanischen Großunternehmen, TSMC und der Hon Hai (Foxconn) mit einer Tochterfirma von Fosun die direkte Lieferung nach Taiwan vereinbaren konnte und die Impfdosen dann in Taiwan zur Impfung der Bevölkerung gespendet wurde.

In der Zwischenzeit ist die Bevölkerung nun zu 93% einfach, 88% 2-fach und 74% 3- fach geimpft.

Als bleibenden Eindruck von Taiwan und mitunter traumatisches Erlebnis wird für viele Expatriates die Zeit in Erinnerung bleiben als mit nur wenigen Stunden Vorlauf vom CDC verkündet wurde, dass die 14- tägige Quarantäne ab dem darauffolgenden Tag im Hotel zu absolvieren sei. Das traf, da gerade die Schulferien zu Ende gingen, viele Familien, die nun schauen mussten, wie sie sich mit 3 oder mehr Personen halbwegs nervenschonend zwei Wochen im Hotel rund um die Uhr teilen.

2022

Es ging langsam auf den Sommer zu und wieder war es der Monat Mai, der in Taiwan die Infektionszahlen nach oben auf mehr als 80.000 Erkrankungen pro Tag trieb.
Und mit jeder Welle fragen wir uns, wie hoch ist die Dunkelziffer?

Nun, in Taiwan ist diese Zahl bestimmt deutlich geringer als anderswo auf der Welt. Und das hat einen einfachen Grund.

Sehr viele Taiwaner haben das Risiko der Covid-19 Erkrankung versichert. Diese Policen wurden von den hiesigen Versicherungsunternehmen zu einer Zeit angeboten, als alle auf die Abschottung des Landes und niedrige Infektionszahlen gesetzt haben. Doch als die Omikron-Variante über den Inselstaat schwabbte, sah sich so manch eine erkrankte, aber versicherte Person einem wahrem Geldsegen ausgesetzt. Denn abgesichert werden sollte nicht nur die finanziellen Nachteile und die Einschränkungen während der Quarantäne, sondern auch die häusliche Isolation als Kontaktfall. So konnten die Versicherten auf einen Betrag zwischen 300 und 3.500 Euro bei 35 Euro Versicherungsprämie pro Jahr hoffen.

Nun schreiben wir Oktober 2022 und das Nationale Epidemie- Kontrollzentrum meldete seit Ausbruch der Pandemie im Januar 2020 über 7 Millionen Erkrankungen, und 11.908 Todesfälle, die im Zusammenhang mit Covid-19 stehen (sollen). Taiwan hat sich von der “Null-Fälle-Strategie” abgewandt und ordnet die staatlichen Maßnahmen nach dem Motto “Leben mit dem Virus”.

Verfasst von

Chris

Ich lebe seit 2018 in Taipei und entdecke die Stadt und die ganze Insel jeden Tag aufs Neue und möchte mein Wissen und meine Erfahrung mit euch teilen.